Im Vortrag wird das allgemeine Thema durch Beispiele aus Kärnten, dem benachbarten Kanaltal und anderen Teilen Mitteleuropas illustriert.
Geographische Namen können als ‚verdichtete Erzählungen‘ in zwei Richtungen betrachtet werden: über das geographische Objekt (Flur, Fluss, Berg, Ortschaft, Landschaft) und über den oder die Namengeber.
Geographische Namen erzählen Geschichten
In Richtung des Objekts gilt das vor allem für beschreibende Namen, wenn man von der Annahme ausgeht, das jeder Name mit Bedacht vergeben wurde, mit der Absicht, ein wesentliches oder besonders auffälliges Merkmal hervorzuheben. Die Bedeutung eines Namens und die Absicht sind für uns heute nicht immer offenkundig. Geographische Namen sind oft sehr alt, entstammen früheren Sprachen oder älteren Stadien einer heute an diesem Ort gesprochenen Sprache.
Aber auch über die Namengeber oder die namengebende Gemeinschaft erzählen geographische Namen Geschichten. Sie sind in dieser Hinsicht sogar besonders interessant, da sie einen Eindruck davon vermitteln, wie früher die Menschen ihre Umgebung wahrnahmen und was für sie wichtig war.
Geographische Namen sind Schlüssel zur Kulturgeschichte,
zur Sichtweise früherer Kulturen auf den geographischen Raum. Ackerbauern hatten andere Sichtweisen und Interessen als Hirten, Seefahrer und Küstenbewohner andere als die Bevölkerung von Berggebieten. Sie alle lassen sich aus geographischen Namen ableiten, wenn diese sorgfältig analysiert und unter Zuhilfenahme historischer Informationen interpretiert werden.
Geographische Namen und sichtbare Aufschriften
im Allgemeinen können Geschichten über die kulturelle Disposition einer heutigen Gesellschaft erzählen. Ist sie integrativ, akzeptiert und schätzt sie aktuell ansässige Minderheiten und frühere Kulturschichten? Ihre Aussagekraft in dieser Hinsicht kann sogar als höher eingeschätzt werden als die des baulichen Erbes. Während das Fortbestehen von Gebäuden aus früheren Kulturperioden nur auf den Mangel an neuen Investitionen zurückzuführen sein kann, ist der Erhalt von Namen und Aufschriften in einer verklungenen Sprache an einem Ort zumindest ein Hinweis auf Toleranz, auf eine nicht ablehnende Haltung gegenüber der früheren Kultur, denn es wäre leicht gewesen, sie zu beseitigen. Wird die Minderheitensprache oder die einstige, heute verklungene Sprache zudem in neue Aufschriften und offizielle Beschilderungen aufgenommen, kann dies als Anzeichen der Wertschätzung der Minderheit(en) bzw. der einstigen Kultur gewertet werden, die bis zur Entwicklung einer multikulturellen Identität reichen kann.
Über den Vortragenden:
Peter Jordan, geb. 1949 in Hermagor, Kärnten. Studium der Geographie und Ethnologie an der Universität Wien (Dr. phil.), 1998 Habilitation an der Universität Klagenfurt, 1977-2007 am Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Institut in Wien tätig, 2002-2005 dessen Direktor, seit 2007 am Institut für Stadt- und Regionalforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften; 2007-2017 Vorsitzender des österreichischen Expertengremiums für geographische Namen (AKO), 2006-2017 Convenor der UNGEGN Working Group on Exonyms, 2007-2015 Vorsitzender der ICA Commission on Atlases, 2017-2023 Vorsitzender der Joint ICA/IGU Commission on Toponymy; seit 2021 Vizepräsident des International Council of Onomastic Sciences (ICOS), seit 2024 auch Vorsitzender der ICOS Working Group on Toponymy; Forschungsschwerpunkte: Kulturgeographie, Tourismusgeographie, Regionale Geographie Südosteuropas, Toponomastik; 436 wissenschaftliche Publikationen (122 davon zur Toponomastik) und 417 Vorträge.