Als die mittlerweile 77-jährige Mitschigerin die Lehrzeit begonnen hat, war das Schneiderei-Handwerk besonders für Frauen noch ein beliebter und vielfach gewählter Beruf. Heutzutage ist es eine eher seltene Berufswahl und vom Aussterben bedroht, da maßgeschneiderte, individuell angefertigte Kleidung ein Opfer von Großkonzernen und Billliganbietern geworden ist.
Kleider machen Leute
Hannelore Rieder erinnert sich: „Es war der Wunsch meiner Eltern, einen ordentlichen Beruf zu erlernen. Schneidereien gab es damals noch in fast jedem Ort.
„Am 25. September 1961, als 14-jähriges Mädchen, begann ich in der Hermagorer Schneiderei von Elfriede Ankele mit der dreijährigen Ausbildung zur Damenkleidermacherin. Zu dieser Zeit war es üblich, dass sich die Bevölkerung mangels Bekleidungsgeschäften maßgeschneiderte Kleidung anfertigen ließ. Unsere Kunden waren einfache Leute, die sich aber für besondere Anlässe wie Taufen, Firmungen oder Hochzeiten hochwertige Kleidung wünschten. Die Stoffe dafür wurden meist von unseren Kundschaften zur Verfügung gestellt. Ich erinnere mich auch daran, dass ich sogar für eine Frau ein Sterbekleid für den Sarg anfertigen musste“.
Dreijährige Ausbildung
Hannelore besuchte während ihrer Ausbildung die Berufsschule in Hermagor, mit dem damaligen Direktor Max Lampersberger. Seine Frau Fanni war in der Familien-Schneiderei Unterberger beschäftigt und unterrichtete als Schneidermeisterin auch in der Berufsschule. „Ich habe von Fanni Lampersberger viel Wissenswertes erlernt, besonders aber das perfekte Schnittzeichen“, schwärmt das damalige Lehrmädchen. „Vor meiner Lehrherrin Elfriede Ankele hatte ich großen Respekt, sie war eine strenge Chefin, sie sparte nicht mit Tadel, aber durch ihre Genauigkeit und Perfektion kann ich heute sagen, dass es ein guter Lehrplatz war und ich meine Berufswahl nie bereut habe“, resümiert sie.
Hohes handwerkliches Niveau
Zur Ausbildung gehörte auch das Führen eines Wochen-Werkstattbuches, welches jede Woche der Meisterin zur Bestätigung vorgelegt werden musste. Das handschriftlich überaus penibel geführte Buch dokumentierte die geleisteten Arbeiten und wurde durch Freihand-Zeichnungen und Arbeitsmuster ergänzt. Dieser Tätigkeitsbericht diente auch dem Ordnungssinn und der Fähigkeit von Skizzieren und Zeichnen. Bei der Gesellenprüfung sollte es der Lehrherrin und der Prüfungskommission einen Überblick über die Ausbildung geben.
Wertvolle Schenkung
Beim Stöbern in ihrem Haus hat die inzwischen verwitwete, rüstige Mutter und Oma zwei Exemplare ihrer alten Werkstatt-Bücher gefunden. Nach einigen Überlegungen entschloss sich Hannelore Rieder, die historischen Werke dem GailtalMuseum zu schenken, damit die authentischen Aufzeichnungen mit hohem Regionalbezug für nachfolgende Generationen erhalten bleiben und so Einblick in das Schneiderei-Handwerk von anno dazumal geben.