Von Georg Krutzler
Das Gailtal Journal war auf Besuch und sie erzählten uns, wie die Fremden zur Familie wurden. „Es ist ein unglaublich gutes Gefühl, wenigstens zwei ukrainische Menschen in materieller und sozialer Sicherheit zu wissen”, so Carmen Pernul. Ludmyla (83) und Kateryna (55) sind Mutter und Tochter. Sie mussten aus der Millionenstadt Dnipro fliehen, nachdem ein Teil ihres Wohnblocks von russischen Raketen getroffen wurde. Es gab kein Wasser, keinen Strom und kein Gas mehr und die russische Armee kam begleitet von stän-digem Sirenenalarm immer näher.
Erinnerungen an den 2. Weltkrieg
„Da musste ich einfach meine beinahe blinde Mutter in Sicherheit bringen. Die Erinnerungen an die Schrecken des 2. Weltkriegs, den sie als Kind erlebt hat, wurden für sie unerträglich”, meint Kateryna in hervorragendem Englisch. Sie hat Betontechnik studiert und zuletzt als Maßschneiderin gearbeitet. Dass die Reise nach Österreich gehen würde, erfuhren sie erst auf dem Weg durch Ungarn. Nach sechs Tagen Flucht und einigen Tagen in einer eilig adaptierten Unterkunft in Niederösterreich begann Kateryna verzweifelt, auf allen möglichen Plattformen nach einer geeigneten langfristigen Unterkunft zu suchen. „Es war für meine Mutter unmöglich, sich zwischen so vielen Menschen auf so engem Raum zurecht zu finden“, so Kateryna.
Unterkunft in sozialem Medium gefunden
Um 1 Uhr nachts fand die Ukrainerin schließlich in einem sozialen Medium eine kostenfreie Unterkunft und trat gleich über WhatsApp in Kontakt. Es war das gelbe Haus der Fam. Pernul auf einem Hügel in Neudorf. „Bis zwei Uhr morgens haben wir alles Wichtige besprochen und um 4 Uhr morgens sind die beiden dann nach Wien und von dort mit dem Zug nach Villach gefahren, von wo wir sie schließlich abgeholt haben. Seitdem gehören die beiden zur Familie“, lacht Carmen. „Unser Sohn Oliver war anfangs zwar ganz und gar nicht begeistert, aber inzwischen hat er sich bestens an die neuen Mitbewohnerinnen gewöhnt”.
Was war der Auslöser für diese doch weitreichende Entscheidung?
„Wir hatten einfach das Gefühl, dass Sach- und Geldspenden alleine zu wenig sind. Außerdem haben wir den Platz und die finanzielle Möglichkeit, zusätzlich zwei Menschen mitzuversorgen. Damit war die Entscheidung nur noch eine Frage der Bereitschaft und der humanitären Verpflichtung”, meint Gerhard Pernul und seine Frau nickt zustimmend. Carmen erzählt, dass ihr Großvater väterlicherseits 1902 in der Ukraine geboren wurde und 1917 nur ganz knapp mit zwei seiner Schwestern fliehen konnte, während die restliche Familie von den Bolschewiken ermordet wurde.
Und wie ist die Stimmung nach sechs Wochen des Zusammenlebens?
Alle lachen fröhlich – keiner von allen Beteiligten hätte sich auch nur im Entferntesten vorstellen können, dass es so wunderbar funktionieren könnte, mit wildfremden Menschen zusammenzuleben. „Unser Geheimnis ist wohl, dass es keine Geheimnisse gibt. Wir sprechen über alles und reden uns einfach aus, bevor es wegen Kleinigkeiten zu Missverständnissen kommt, und das funktioniert bislang großartig”. Dass beim gemeinsamen Essen Englisch gesprochen wird und Kateryna dabei gleichzeitig für ihre Mutter ins Russische übersetzt, ist inzwischen für alle ganz selbstverständlich.
Wird auch über die aktuelle Situation in der Ukraine gesprochen?
„Ja selbstverständlich, vor allem über Katerynas Ängste um die Kinder sowie die zwei Enkelkinder, die nach wie vor in Dnipro sind. Tochter und Schwiegertochter weigern sich beharrlich, das Land zu verlassen, da die Ehemänner nicht ausreisen dürfen.” Der Kleiderkasten ist inzwischen voller gespendeter Kleider aus dem Freundeskreis der Pernuls. „Unser Koffer wird wohl bei der Rückkehr nicht mehr ausreichen”, lacht Kateryna. „Auch wurde überraschend eine größere Summe von einem bekannten Gailtaler Trachtenverein für uns gespendet, herzlichen Dank auch nochmals dafür”, sagt Kateryna sichtlich gerührt. „Wir werden trotz der traurigen Umstände auf jeden Fall unsere Zeit mit der Famile Pernul hier in Österreich in wundervoller Erinnerung behalten”.