Auf dem Drahtesel fühlt sich Ernst Gratzer wohl. 6000 bis 7000 Kilometer pro Jahr spult der 70-Jährige alljährlich auf seinem Bike runter. Was vor 18 Jahren als Experiment begann, entwickelte sich zu einem fixen Bestandteil im Leben, zu einem liebgewonnenen Ritual. Rund drei Mal im Jahr schwingt sich der Untervellacher in den Fahrradsattel und begibt sich auf eine Radtour ins Ausland. Sohn Sven, studierter Sportwissenschaftler und beim ASKÖ Kärnten in Klagenfurt als solcher tätig, ist stets mit von der Partie. 2003 brach das Vater-Sohn Gespann zur ersten gemeinsamen, viertägigen Radtour auf und ließ die Kärntner Grenze hinter sich. „Wir mussten uns ein gebrauchtes Rad ausleihen. Eigenes hatten wir damals keines“, weiß Ernst zu berichten. Die beiden verschlug es nach Kroatien, in die Kvarner Bucht mit den Stationen Cres, Krk und Raab. Auf den Geschmack gekommen, radelten die Gratzers fortan drei bis vier Mal pro Jahr durch das Land. Die Gruppe an Gleichgesinnten wuchs. Bald führten die Touren nach Italien, Slowenien, Bosnien, Nordmazedonien, Süddalmatien, Montenegro, Kosovo und Albanien. Letztgenanntes Land entpuppte sich neben Kroatien als Geheimtipp und lieb gewonnene Destination.
Mit voller Muskelkraft voraus
Ein E-Bike kommt Ernst und Sven nicht unter den Hintern. „Solange es noch so geht“, lacht der fitte 70er. Die Runde aus mittlerweile 12 Teilnehmern besteht, rein zufällig wie Gratzer sagt, nur aus Herren. Quartiere buchen und Routen ausstecken, das erledigen Ernst und Teamkollege Rudolf Lussnig – zeitgemäß online versteht sich. Sein Lehrgeld hat der Untergailtaler auch schon zahlen müssen. Bei der ersten Albanien-Radreise war an der Bosnisch-Albanischen Grenze Stopp. Nur den Einwohnern aus dem Grenzbezirk war der Übertritt erlaubt. „Ich hatte mich vorab nicht informiert und musste retour.“ Durch das Missgeschick wurden aus den geplanten 20 Kilometern Abkürzung zum Hotel 70. Vor wenigen Jahren ist die Radlergruppe in Bosnien im Zuge einer Veranstaltung vor ihrem Quartier nichtsahnend und unschuldig in eine Drogen-Razzia geraten. „Wir wussten nicht wie uns geschieht, als wir plötzlich von der Polizei umringt waren“.
100 Kilometer pro Tag
Rund 100 Kilometer Strecke pro Tag ist das Ziel, das sich die Gruppe setzt. Oft geht es über Berge und Pässe wobei im Schnitt an die 1200 und 1500 Meter Seehöhe bewältigt werden müssen. Zum Eigengewicht kommen zehn bis 15 Kilogramm Gepäck dazu, die mitgeschleppt werden müssen. Werkzeug ist immer mit dabei. Ein Platten, eine gebrochene Speiche oder ein Kettenriss kann jederzeit passieren. „Die Entschleunigung macht den Genuss einer Tour aus. Ich kann auf diese Art und Weise Land und Leute besser kennenlernen“, schwärmt Gratzer.
Rhythmus im Blut
Neben dem Sport gibt die Musik in seinem Leben den Ton an. Mit Gattin Helga, sie ist als Diplomvisagistin in der Kosmetik und Ernährungsberatung tätig, Rudolf Samidits (Sammy Musikagentur) und Dieter Petritz steht Ernst als Bandmitglied von „Sunny Side“ auf der Bühne. Ernst zupft die Saiten von E-Gitarre und Bass und lässt seine Stimme im Bariton erklingen. Ebenso mischt er bei der Sechserformation Sammy`s Band mit. Seit mehr als vierzig Jahren macht das Trio Ernst, Helga und Rudi musikalisch gemeinsame Sache. „Leider sind seit Corona Auftritte sehr selten“, bedauert der Hobbyradler, der sich sonst gerne am Hometrainer abstrampelt, im Winter die Loipen entlangflitzt, mit dem Rennrad schnell mal nach Unterkärnten düst, ins Lesachtal fährt, oder den Loibl- und Predilpass überquert.