Ich leiste mir den „Luxus“ Einsamkeit

Kirchbach / München -

Die deutsche Regisseurin Anna Franziska Huber tauscht jeden Sommer für drei Monate ihre Münchener Theater-Luft mit der herb-würzigen Einsamkeit der Kirchbacher Wipfel-Alm.

Für Anna Huber heißt es für heuer Abschied nehmen von ihren Schafen – doch sie kommt nächsten Sommer wieder

Seit wenigen Tagen arbeitet die 33-jährige Anna schon wieder mit voller Energie im Rahmen ihrer hauptberuflichen Tätigkeit in den Räumlichkeiten und auf der Theater-Bühne der „Komödie am Bayerischen Hof“ in München.

Alm-Alltag

Doch von Anfang Juni bis Mitte September war alles ganz anders. Bereits zum dritten Mal hintereinander verbrachte Anna 14 Sommer-Wochen als Schaf-Hirtin auf der Kirchbacher Wipfelalm. Etwa 320 Schafe haben ihr insgesamt acht Landwirte aus der Region zur Permanent-Behirtung anvertraut, koordiniert vom erfahrenen Schafbauer Martin Martin aus Döbernitzen. Ihre nur zu Fuß erreichbare 4×5 m große Hütte, verheißungsvoll „Letzte Zuflucht“ genannt, steht keck und exponiert auf einem ausgesetzten Grat knapp unter dem Hochwipfel-Gipfel (2.195 m), doch sie ist, ab dem Ende des Alm-Weges, nur zu Fuß erreichbar. Und alles, was die sportliche Schaf-Hirtin für ihren Alm-Alltag auf der Hütte braucht (Brennholz, Lebensmittel usw.), muss sie die letzten 300 Höhenmeter mit schwerem Rucksack, manchmal mehrmals täglich, hinauftragen. „Fließwasser gibt es dort oben nicht; für die Körperpflege sammle ich Regenwasser, aber ich trinke es auch.“ Ein wenig elektrische Energie für einen kleinen Kühlschrank und zum Handy-Laden kommt von einem Photovoltaik-Paneel.

300 Höhenmeter Fußweg sind es bis zu ihrer Hütte

Kontrast-Programm

Angesprochen auf die Beweggründe, warum Anna ihren geregelten Großstadt-Alltag mit dem überaus kargen Leben auf einer einsamen Gailtaler Alm, drei Monate lang ohne freie Tage, tauscht, erklärt sie stolz: „Mein Theater-Beruf ist Leidenschaft pur. Meinen mentalen Ausgleich dazu finde ich in der Einsamkeit dieser Alm. Der tägliche Kampf mit der Natur bringt mir tiefe, zufriedenstellende Erdung. Ich hätte mir nach meinem Studium sicher auch ein brav geregeltes Leben aussuchen können, aber das brauche und will ich nicht. Die permanenten Unsicherheiten hier oben bedeuten für mich absolute Freiheit und Abhärtung. Ich bin bei jeder Witterung und in jeder Situation auf mich alleine gestellt; das ist spannend und erfüllend. Meine verlässlichen Begleiter und Freunde, auch bei Regen, Gewitter, Wind und Nebel, sind die kleine, flinke Hirtenhündin Dixie und der respekteinflößende Herden-Schutzhund Pascha.

Herden-Schutzhund Pascha ist ihr treuer Begleiter

Frühmorgens, bereits vor Sonnenaufgang, öffne ich den elektrischen Nacht-Pferch, in dem die gesamte Herde nachts geschützt ist. Dann strömen die Schafe hinaus in den neuen Alm-Tag, immer auf der Suche nach köstlichen Alm-Gräsern. Tagsüber halte ich die Herde einigermaßen geschlossen, und bis zum Abend bemühe ich mich darum, dass sich alle Schafe wieder in ihrem Nachtquartier befinden. Da macht man Höhenmeter ohne Ende. So baut sich bis zum Ende der Alm-Saison eine innige Beziehung zu den Tieren auf. Und am letzten Tag, wenn die Herde wieder ins Tal getrieben und jedes Schaf seinem Besitzer übergeben wird, erfüllt es mich mit Freude, dass ich es wieder mal geschafft habe. Das macht unendlich zufrieden, mental bärenstark und auch ehrfürchtig.“ Während sie sich zum Abschied nochmals kuschelnd zwischen ihre Schafe setzt, die sie alle mit Namen kennt, lassen sich ein paar Tränen in ihrem glücklichen Gesicht nicht verbergen. Warum auch? Ist doch wunderbar menschlich, echt und ehrlich. Dann steht sie auf, streichelt den Tieren über ihr Fell und verspricht: „Im Juni 2024 komme ich verlässlich wieder und freue mich jetzt schon sehr darauf.“

Lebenslauf

Anna Franziska Huber ist 1990 in München geboren, ledig, und lebt auch dort. Nach ihrem Studium der Theater- und Medienwissenschaften an der Universität Erlangen praktizierte sie an verschiedenen Theatern , aber auch in Film- und Fernseh-Studios sowie im Musik-, Event- und Festival-Management. Dabei führte sie ihre berufliche Neugier im Laufe der Jahre in die weite Welt hinaus. Sie freut sich, dadurch auch in den Sprachen Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch und Latein einigermaßen sattelfest zu sein, auch wenn diese Fähigkeiten während ihrer bisherigen drei Alm-Sommer auf der Kirchbacher Wipfel-Alm etwas vernachlässigt werden. „Meine Tiere haben eine ganz andere, ganz spezielle Sprache, die ich aber inzwischen auch schon sehr gut verstehe…“