Ein Blick in die Geschichte
Historiker Peter Wiesflecker vom Geschichtsverein für Kärnten hatte Einblick in die bemerkenswerten Aufzeichnungen eines Zeitzeugen. Dieser beschrieb auch den Abzug der Italiener aus Thörl, das diese Porticina nannten, am 19. November 1924. „Dass Thörl vor nunmehr 100 Jahren wieder österreichisch wurde, lag zum Teil auch an einer Demonstration der örtlichen Bevölkerung vor einer internationalen Grenzkommission. Die Demonstrierenden beeindruckten insbesondere den englischen Vertreter“, so Wiesflecker.
Die Bedeutung Thörls für Italien nach dem Ersten Weltkrieg
„Für die Italiener war Thörl vor allem aus militärstrategischen Gründen interessant. Zuerst wollten sie im ehemals österreichischen Tarvis einen Großbahnhof errichten, Thörl eignete sich dafür vom Platzangebot her aber viel besser“, berichtet der Historiker. Festgesetzt worden waren die Staatsgrenzen eigentlich im September 1919 im Friedensvertrag von St. Germain. „Die Italiener beriefen sich bei ihren Ansprüchen auf Thörl aber auf jene Bestimmung des Friedensvertrags, wonach die Staatsgrenze im Raum Arnoldstein/Tarvis im Detail noch zu bestimmen sei“, so Wiesflecker. Vor dem Gasthof „Straßhof“ wurde also ein italienischer Grenzposten errichtet. Zudem brachte die italienische Verwaltung an der bisherigen Bahnstation Thörl die Aufschrift „Porticina“ an – „ein deutliches Signal seitens Italiens“, so der Historiker.
Grenzziehung und ihre Folgen
Die vorläufige „Grenzziehung“ bedeutete laut Wiesflecker einen massiven Einschnitt in das ländliche Gefüge. Die Bevölkerung empfand vor allem auch die Beschränkungen im Alltag als schikanös. Das geht auch aus den Aufzeichnungen des Zeitzeugen Anton Konrad (1896–1986) hervor. Der im Kanaltal aufgewachsene Sohn eines Bahnbediensteten in Arnoldstein hielt die Ereignisse dieser Jahre schriftlich fest. Die Texte stellte dessen Sohn Günther Konrad der Geschichtsforschung zur Verfügung. Der Zeitzeuge schrieb unter anderem: „Viele Besitzer in Thörl hatten ihre Äcker und Liegenschaften auf österreichischem Gebiet und umgekehrt. Für solche Leute wurden Passierscheine bewilligt und langsam der Grenzverkehr geregelt. Starb jemand in Maglern, so musste auch dieser für die Reise auf den Friedhof über die Grenze einen Passierschein haben. Später wurde dieser Passzwang zwar aufgehoben, allein den Toten durften nur die nächsten Verwandten auch nur gegen Vorweisung des Passierscheines bis auf den Friedhof begleiten.“
Propagandafront im Grenzgebiet
Von beiden Seiten wurde eine intensive Propagandatätigkeit entwickelt, wie Wiesflecker weiter ausführt. Ein Proponent der „italienischen Lösung“ war der damalige Pfarrer von Thörl. „Die österreichische Seite arbeitete sogar mit ungewohnten ‚nationalen‘ Parolen, die in Kärnten sonst nicht zu hören waren“, sagt der Historiker vom Geschichtsverein. So wurde eine „Mahnung in letzter Stunde“ (Zadnji opomin) auf Deutsch und Slowenisch veröffentlicht. Darin hieß es, dass ein großer Teil der Menschen in Thörl Slowenen sei und „die Italiener die ärgsten Feinde der Slowenen sind“. Man behauptete, dass die Italiener den Menschen das Gehen auf eigenem Grund verbieten würden. „Es bliebe euch nichts übrig, als auszuwandern oder die drückende Herrschaft der Italiener zu leiden, welche euch niemals lieben werden, weil sie eure Sprache, euer Wesen, eure Bedürfnisse nicht verstehen“, ging der Propagandatext weiter.
Der Wendepunkt in Thörl
„Im Juni 1921 gelang es dann dem Arnoldsteiner Gemeinderat, eine internationale Grenzkommission nach Thörl zu bringen“, erzählt Wiesflecker. Die Kommission wurde von einer für Österreich demonstrierenden Bevölkerung empfangen. Damit und mit weiteren offiziellen Vorstößen und Verhandlungen konnte schließlich erreicht werden, dass Italien am 30. Oktober 1924 im sogenannten Protokoll von Bozen auf das Gebiet verzichtete. Am 19. November 1924 erfolgte die Räumung Thörls durch die Italiener. „Thörl-Maglern entwickelte sich schließlich zu einem der wichtigsten und meist frequentierten Grenzübergänge in den Süden Europas“, betont Wiesflecker.